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Title

Wen hesch du gsee? – De Maa, mit dem ich Tennis spile. Inter- und intraindividuelle Variation bei Relativa und Interrogativa im Schweizerdeutschen

Author Melanie BÖSIGER
Director of thesis Prof. Dr. Helen Christen
Co-director of thesis Prof. Dr. Jürg Fleischer, Philipps Universität Marburg
Summary of thesis

Die vorliegende Dissertation hat zum Ziel, einen umfassenden Überblick über den Gebrauch der Relativa und Interrogativa im Schweizerdeutschen zu geben. Dazu wurden mit zwei Online-Umfragen, die 1095 bzw. 396 Teilnehmende ausgefüllt haben, neue Daten erhoben. Vier Forschungsfragen stehen im Zentrum, die sich der folgenden übergreifenden Frage unterordnen: „Welche Relativa bzw. Interrogativa verwenden Sprecher_innen des Schweizerdeutschen?“

1. Wie unterscheidet sich der Relativ- bzw. Interrogativgebrauch in verschiedenen syntaktischen Funktionen (Relativum bzw. Interrogativum als Subjekt, direktes oder indirektes Objekt, in obliquen Nominalphrasen)?

2. Lässt sich der Gebrauch der Relativa bzw. Interrogativa durch geografische Kriterien erklären?

3. Hat das Alter der Sprecher_innen einen Einfluss auf den Gebrauch der Relativa bzw. Interrogativa?

4. Inwiefern variiert der Relativ- bzw. Interrogativgebrauch ein- und derselben Sprecherin? Zeigen sich bei der Verwendung verschiedener Varianten Muster oder ist der Gebrauch völlig individuell?

 

Gemäss Grammatiken zum Schweizerdeutschen dient das unflektierte Relativum wo zur Ein-leitung aller Relativsätze. Steht das Relativum als indirektes Objekt oder innerhalb einer obliquen Nominalphrase, wird es durch resumptive Pronomen oder Präpositionaladverbien erweitert. Das Schweizerische Idiotikon sowie Studien von Salzmann/Seiler (2010) weisen aber auf einen vielfältigeren Relativgebrauch hin, in dem auch Sätze wie de Igel, wo ich z frässe geh ha (‚der Igel, wo ich zu fressen gegeben habe‘, mit nicht erweitertem wo in der Funktion eines indirekten Objekts) oder de Nochber, de unter mir wohnt (‚der Nachbar, der unter mir wohnt‘, mit standardnahem Relativum) vorkommen.

 

Die für die vorliegende Doktorarbeit erhobenen Daten zeigen in allen syntaktischen Positio-nen Varianz im Relativgebrauch von Sprecher_innen des Schweizerdeutschen. Überall domi-niert wo (in obliquen Nominalphrasen mit einer der oben genannten Erweiterungen), es er-scheinen aber auch andere Varianten. Die geografische Herkunft der Sprecher_innen spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Das Alter der Sprecher_innen erweist sich bei manchen Relativa indes als entscheidend: So wird die mit Resumptivpronomen erweiterte Variante (de Igel, wo ich ihm z frässe geh ha ‚der Igel, wo ich ihm zu fressen gegeben habe‘) primär von älteren Sprecher_innen genannt und von jungen kaum mehr. Junge verwenden ausserdem eher das standardnahe Relativum de (oder die Kombination de wo) als ältere. Ferner hat sich gezeigt, dass Relativa in der Funktion eines direkten Objekts für Sprecher_innen einfacher zu realisieren sind als solche in der Funktion eines Subjekts, was der Theorie der Zugänglichkeitshierarchie von Keenan/ Comrie (1977) widerspricht.

 

Auf intraindividueller Ebene erscheinen viele verschiedene Muster, nach denen einzelne Sprecher_innen Relativa bilden. Den meisten Mustern gemein ist wo ohne Erweiterung für Relativa, die das Subjekt, das direkte oder das indirekte Objekt im Satz repräsentieren. In obliquen Nominalphrasen werden viele unterschiedliche Varianten genannt. Insbesondere bei der Verwendung von Relativa mit Bezug auf belebte Referenten zeigen sich grosse Unterschiede.

Ein kurzer Exkurs zum rätoromanischen Idiom Sursilvan zeigt, dass manche Erkenntnisse zum Schweizerdeutschen auch auf diese Varietät übertragbar sind.

 

Die Interrogativa werden in nominativischer und akkusativischer Funktion meistens als wer? realisiert, im Dativ als wem?. Regional zeigen sich andere Formen wie wels? im Wallis oder we? in der Ostschweiz. wen? als akkusativisches Interrogativum hat zwei Kerngebiete in Bern/Freiburg und in Zürich. Eine Akkusativ regierende Präposition begünstigt die Form (z. B. für wen?). In Bern/Freiburg zeigt sich kein Einfluss des Alters der Sprecher_innen bei der Verwendung von wen? oder wer?. In Zürich sind es hingegen eher die Jungen, die diese Form verwenden, es handelt sich somit um eine neue Form.

 

Auf intraindividueller Ebene dominiert bei den Interrogativa klar ein Muster, das im Nominativ und Akkusativ die Form wer? enthält und im Dativ wem? (dieses Muster verwenden 74% der Sprecher_innen). Ihm folgen zuerst ein Muster, in dem für alle Akkusative wen? steht, und danach verschiedene Muster, in denen im Akkusativ sowohl wer? als auch wen? erscheinen.

Der Relativgebrauch im Schweizerdeutschen zeichnet sich somit durch eine grosse Varianz aus, die sich stellenweise mit unterschiedlichen Faktoren erklären lässt, bei einzelnen Spre-cher_innen letztlich aber sehr individuell ist. Beim Interrogativgebrauch zeigt sich weniger und primär auf syntaktischen und geografischen Gegebenheiten beruhende Varianz, die nur stellenweise mit anderen Faktoren zusammenhängt.

 

Status finished
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